Page 4 - Vom Shandy zum Radler
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BEERSTYLE
 BEERSTE
Amédée Ozenfant und Le Corbusier am Eifelturm, 26. Juni, 1923.
YLE
Eines sei gleich vorweg gesagt: der folgende Be- richt ist nichts für kulinarische Puristen. So wie das puristische Manifest im bildnerischen Kunstbereich (’Après le cubisme‘ 1918) eine Beschränkung auf klare, wesentliche Formen und Farben einfordert, wird wohl jede/r WeinliebhaberIn das Beimengen eines Fruchtsafts zu einem Lafit-Rothschild 1982
strikt untersagen – mögen da die Beeren des fruchtigen Zusatzes auch noch so son- nengereift und handverlesen sein ;-) Auch der vermeintliche Einwand, dass beim Bier mischtechnische Belange wohl generell mit einer größeren Nonchalance zu bewerten wären, ist bei Betrachtung konkreter Bei- spiele nicht allzu stichhaltig. So lässt sich das im österreichischen Lebensmittelhandel großflächig erhältliche Pale Ale ’Schleppe No.1‘ der gleichnamigen Klagenfurter Tra- ditionsbrauerei preislich natürlich nicht an- nähernd mit einem Grand Cru aus Bordeaux vergleichen. Es fehlen hier etliche kultige Attribute wie der spezielle Jahrgang, risiko- behaftete Vorbestellungen (wie im Rahmen des ‘En Primeur‘-Events in Bordeaux) sowie die Rotwein-spezifische langjährige Fassrei-
fung. Dennoch ist das ‘Schleppe No. 1‘ im Vergleich zu einem österreichischen Premium-Lagerbier rund dreimal teurer. Dass diese Sorte dennoch ständig im Handel gelistet bleibt, hat aber seinen guten Grund: Erst nach mehrmonatigen Versuchen gelang es im Jahr 2014 den beiden Braukünstlern Manuel Düregger (Villacher) und Klaus Pink (Schleppe) ein Pale Ale mit einer aromatische Balance zu brauen, die auch ausgemachte Liebhaber des untergärigen Brau- stils zu überzeugen vermag. Ihr Erfolgsrezept ver- meidet sowohl erhöhte Alkoholwerte (eines ‘India Pale Ale‘) als auch allzu exzentrische ‘amerikanische Hopfennoten‘ ohne es dabei an einer aromatischen Vielschichtigkeit mangeln zu lassen. Diese Ausge- wogenheit nun mit einem Zusatz einer weiteren flüssigen Komponente zu verdecken, ist zumindest den beiden oben genannten Brauprofis gegenüber unfair. Dieser Beurteilung der emotionalen Sachla-
ge werden wohl selbst bekennende LiebhaberInnen von Welcome-Drinks à la Sekt-Orange zustimmen ;-)
Alles zu seiner Zeit
Allerdings lässt sich die gesamte Angelegenheit auch von einem etwas gemäßigteren Blickwinkel betrachten. So, wie nicht jeder gute Tafelwein gleich ein Grand Cru sein muss, ist auch nicht jedes handwerklich solid gebrautes Bier unbedingt zum geschmacklichen Starsolisten prä- destiniert. Auf Grund seines geringeren Alkoholgehalts (im Vergleich zum Wein) eignet sich Bier ja allgemein gut als emotionaler Begleiter zu verschiedenen gesell- schaftlichen Anlässen, wie Treffen zu sportlichen Ereig- nissen oder abendlichen Besprechungen im lockeren freundschaftlichen Rahmen. Bei diesen Gelegenheiten wird eine gediegene Basisqualität erwartet, jedoch kei- ne geschmacklichen Kapriolen, da diese vom Haupt- zweck des Zusammenkommens eher ablenken würden. In diesem Kontext ist eher die ‘Drinkability‘ gefragt, jene geschmackliche Eigenschaft, die „zum unbeschwerten Weitertrinken ohne besonderen Besprechungsbedarf“ einlädt. Über die Bewertung „unbeschwert“ können nun die Meinungen durchaus auseinander gehen. Dieser
                                                            Puristisches Stilleben mit einem Glas Rotwein (Amédée Ozenfant 1921/ 50,6x61,2 cm, Kunstmuseum Basel)
                                                                                                34 S tyles MAGAZINE
  34 S tyles MAGAZINE
     





















































































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