Page 4 - Grazer Braukultur
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BRAU
BRAUKUNST
   KUNST
Die Brauerei Puntigam liegt an der Grazer Triester- straße. Triesterstraßen gibt es in Österreich gleich 17 an der Zahl. Alle führen naheliegenderweise nach Triest, aber nicht alle liegen am Weg der ‘Commerciale‘ von der ehemaligen Monarchiemetropole Wien zum Zoll- freihafen Triest. Für das Grazer Pendant der Triester- straße gilt dies jedoch. Sie war lange ein Teil des von Kaiser Karl VI. im Jahr 1728 eröffneten Haupthandels- wegs zur ‘Österreichischen Riviera‘. Erst der Bau der Südbahn, früher auch Erzherzog-Johann-Bahn genannt, verlagerte ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen Teil des Lastenverkehrs auf die Schiene. Damit verloren auch zahlreiche Gasthäuser entlang der Magistrale samt ih- ren Stallungen für die Pferdekutschen an wirtschaftlicher Bedeutung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch eine an der Triesterstraße gelegene Gasthausbrauerei be- reits zu einem veritablen Braubetrieb entwickelt. Diese ursprünglich 1772 von der Familie Puntigam gegründe- te Gaststätte hatte vor dem Bahnbau nämlich nicht nur vom regen Fernverkehr profitiert, sondern war auch in der lokalen Grazer Gesellschaft für ihr süffiges Bier hoch angesehen.
Treffpunkt Puntigamer-Wirt
Im Gegensatz zu heute war damals ein gelungener Sud nämlich noch keineswegs eine Selbstverständ- lichkeit. Ohne die Einsichten in den eigentlichen Ab- lauf des Brauprozesses war man ausschließlich auf die ‘glückliche Hand‘ des Braumeisters angewiesen – und selbst diese konnte unverschuldet stellenweise ver- sagen. Die Gärung auslösenden Hefestämme, über deren Existenz man nicht einmal richtig Bescheid wusste, waren so oder so stets ein wildes Gemisch. Je nach Temperatur konnten sie eine unterschiedliche Wirkung entfalteten. Somit war schon das frisch ge- braute Produkt geschmacklich äußerst schwankend. Zudem war das damalige (niederprozentige) Bier, falls einmal ein exzellenter Sud gelang, nicht trans- portsicher: Die Verfrachtung mit Pferdekutschen war holprig und langwierig, eine Kühlung unterwegs nicht vorhanden und die Erfindung des Bierfilters durch Lorenz Adalbert Enzinger im Jahr 1878 stand noch aus. Letzterem gelang es schlussendlich durch eine Kette von Papierfiltern Hefepartikel und Trübstoffe zurückzuhalten, deren ungünstigen Wirkung man nur mit einer Pasteurisierung beigekommen wäre. Aber auch diese Methode stand um 1800 und in der fol- genden Biedermeierepoche noch nicht zur Diskussi- on. Der rund einstündige Fußweg vom Stadtzentrum zum frischen Bier beim Puntigamer-Wirt zahlte sich für die fidele Grazer Gesellschaft daher sehr wohl aus.
16 S tyles MAGAZINE
                               



























































































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