Page 42 - Styles-Magazine Winter 23/24
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 SERT
DES
DESsERT
  Gemessen am Bekanntheitsgrad des Tiramisù – so ist das Dessert etwa in China das meist gegoogelte ita- lienische Wort – verfügt das Rezept eigentlich über keine sonderlich lange Geschichte. Eine Süßspeise mit dieser Bezeichnung lässt sich erstmals um 1950 im Restaurant ‘Il Vetturino‘ in der norditalienischen Kleinstadt Pieris (nahe Udine) nachweisen. Dabei handelte es sich aber lediglich um eine Neubenen- nung des bereits vorhandenen Desserts ‘Coppa Vet- turino‘. Der Veturrino-Chef Mario Cosolo hatte die Rezeptur selbst entwickelt und damit zuvor schon einen Konditorenwettbewerb unter der Patronanz von König Emanuele III. gewonnen. Cosolos Tiramisù basierte auch nicht ganz auf den heute gebräuchli- chen Zutaten: So verwendete er als cremige Basis anstelle von Mascarpone eine schichtweise Abfolge von Mousse au chocolat und Zabaglione.
Das Wandern eines Begriffs
Rund drei Jahre später scheint dieselbe Süßspei- sen-Bezeichnung an einem anderen Ort er- neut auf: In Tolmezzo, 50 km nördlich von Udine, serviert man im ‘Albergo Ristorante Roma‘ eine Mascarpone-Schnitte mit kaf- feegetränkten Biskotten ebenfalls unter
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dem Namen Tiramisù. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bezeichnung die kurze Distanz nach Norden einfach gewandert ist und die Rezeptur am neuen Ort dann etwas verändert wurde. Alternativ existiert aber noch eine ganz andere Erklärung: Eine Gruppe von Schi fahrenden Stammgästen hätte damals das Mocca-Biskotten-Koffein derartig „angespornt“ (tira mi su = zieh mich hinauf), dass sie dieses angenehme Gefühl als ideale Bezeichnung für ihr Lieblingsdessert empfohlen haben.
Die Rolle von Treviso
Wie immer es auch im Detail gewesen sein mag; rund 15 Jahre später kommt das Tiramisù begrifflich in der venezianischen Stadt Treviso an, die luftlinien- mäßig rund 100 km südwestlich von Tolmezzo liegt. Aufgrund der urbanen Größe, Treviso zählt immerhin über 80.000 Einwohner, machen sich hier gleich meh- rere Konditoren und Chefs ans Werk, um der Süß- speise sozusagen „den letzten Schliff“ zu verleihen. Naturgemäß geht es jetzt nur mehr um Petitessen – so etwa um die Fragen, ob das ganze Ei oder nur das Ei- gelb den Mascarpone begleiten darf oder eventuell ein kleiner Schuss von Rum oder Marsala dem Kaf- fee beigemengt werden darf ;-) Die Akkuratesse der
          
























































































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